„Guten Abend, Herr Albrecht.“ „Guten Abend.“ „Schönmüller mein Name, ich bin der neue Bezirksdirektor Ihrer Versicherungsgesellschaft. Wie Sie sicherlich mitbekommen haben, ist der Herr Wedemann in den wohlverdienten Ruhestand gegangen und daher möchte ich mich bei Ihnen vorstellen.“ „Ja ...“ „Hätten Sie übermorgen, so gegen 18.00 Uhr kurz Zeit, dann würde ich mal vorbeischauen?“ „Mhh, übermorgen ist schlecht, da komme ich erst später aus dem Büro.“ „Wie sieht´s in der kommenden Woche aus, am 12.6. um 19.00 Uhr?“

Es nervt mich zwar schon jetzt, aber da ich nicht unhöflich sein möchte und erst mal davon ausgehe, dass er sich tatsächlich nur kurz vorstellen möchte, antworte ich: „Ja, wäre möglich.“ „Ja, wunderbar, dann sehen wir uns da. Schönen Abend noch Herr Albrecht.“ „Danke, Wiederhören.“  „Auf Wiederhören.“ Ich fühle mich völlig überrumpelt. Dieses Telefonat habe ich noch ganz genau im Kopf, obwohl es schon über eine Woche her ist. Er versucht ja doch nur, mir irgendeine dubiose, völlig sinnlose Zusatzversicherung anzudrehen. Und jetzt sitzt er da, beinahe genauso wie ich ihn mir vorgestellt habe. Ein schlecht gemustertes, dunkelblaues Hemd. Dazu eine graubraune Buntfaltenhose, die an der hageren Gestalt herumflattert. Die Kombi soll wohl Seriosität ausstrahlen. Ich sehe eher ein Tischtuch vor mir. Ohne den Mund zu verziehen, hat er dieses süffisante, selbstgefällige Lächeln im Gesicht. Er redet und redet, schiebt mir zwischendurch seine Visitenkarte zu. Darauf fällt mir nur die übel zugerichtete Wortmarke des Unternehmens auf. Eine einst selbständige Gesellschaft, die ihre Identität nicht verlieren sollte, wurde ins Corporate Design des neuen Mutterkonzerns grafisch hineinvergewaltigt. „... und meine Hobbies sind Radfahren und Skifahren, wenn´s die Zeit erlaubt ...“ Ich frage mich, warum er mir von seinen Hobbies erzählt. Was soll das? Ich bin so misstrauisch, dass ich hinter jedem Wort eine Verkaufsstrategie sehe. „... so, ich denke jetzt wissen Sie ein wenig mehr von mir. Was machen Sie denn so?“ Ich nenne ihm meinen Beruf. Als er merkt, dass ich nicht anfange, von mir zu erzählen, stellt er mir noch ein paar floskelhafte Fragen, die ich so knapp wie möglich beantworte. Das muss alles ganz schön schrullig bei ihm ankommen, aber ich habe wirklich keine Lust, einem Menschen, den ich heute zum ersten Mal sehe, mehr von mir zu erzählen. Im Gegenteil, ich möchte ihn so schnell wie möglich aus meiner Wohnung haben. „...und dann will ich Ihnen noch kurz erklären, wie unsere Versicherung strukturiert ist, und wie Sie alles aus einem Haus bekommen ...“ Warum sind alle Versicherungskaufmänner so gekleidet, wie sie gekleidet sind? Das würde mich viel mehr interessieren als die Wortblasen, die er ohne Unterbrechung und mit dem immer gleichen Lächeln im Gesicht von sich gibt. Selbst als er über die Auswirkung finanzpolitischer Beschlüsse auf das Versicherungswesen spricht, lächelt er unentwegt. Nach seiner Miene müsste alles Friede, Freude, Eierkuchen sein. „...wir wollen unseren Kunden nicht irgendetwas verkaufen, sondern die Versicherungen, die ganz individuell und optimal auf die jeweiligen Bedürfnisse abgestimmt sind.“ „Dann müssten Sie mir jetzt eine andere Versicherungsgesellschaft empfehlen. Mein Bruder zahlt bei seiner Kfz-Versicherung für exakt die gleichen Leistungen einen wesentlich niedrigeren Beitrag.“ „Ach, dann ...“ „Nee, da ist kein Haken dabei.“„Ja gut, an dem laufenden Vertrag kann ich leider nichts machen, aber sollten Sie diesen auf ein neues Kfz umschreiben, dann können wir bestimmt genauso gute Konditionen bieten.“ „Gut, dann werde ich auf Sie zurückkommen.“ „Ja, jederzeit. Herr Albrecht“ Damit keine peinliche Stille entsteht, sprudelt gleich die nächste Frage aus Ihm heraus: „Fahren Sie eigentlich mit dem Auto zur Arbeit?“ „Nein, mit der S-Bahn.“ „Aha, dann müssen sie auch nicht durch den Stau. Meiner Frau ist letztens, entschuldigen Sie, dass ich das so sage, so ein saublöder Asylant in die Seite reingerauscht. Gott sei Dank nur Blechschaden. Das Verfahren läuft jetzt schon seit über vier Monaten. Aber zum Glück gibt´s ja die Rechtschutzversicherung ....“ Ganz schön dreist, einem mit so einer Geschichte eine Rechtschutzversicherung verkaufen zu wollen. Wieder denke ich, dahinter steckt Kalkül. Der „saublöde Asylant“ hat nur wegen meinen extrem kurzen Haaren herhalten müssen. „....wömöglich hat der seinen Führerschein in irgendeiner Bananenrepublik gemacht.“ Ich mustere ihn kurz von oben bis unten und antworte dann: „Ja, womöglich in der Bananenrepublik Deutschland.“ Er lacht kurz und schwenkt dann gleich um: „Da haben Sie recht, bei uns stimmt auch nicht alles. Tja, so langsam muss ich mich auf den Weg machen, da ich noch einige Besuche vor mir habe.“ „Ich werde Sie noch kurz zur Tür bringen.“ Darauf freue ich mich schon seit einer Viertelstunde. „Auf Wiedersehen, Herr Albrecht und Sie wissen ja, Sie können mich jederzeit anrufen.“ Ich öffne ihm die Türe. „Auf Wiedersehen Herr Schönmüller – und viel Erfolg noch.“ Er lacht mich nochmal an und geht, die Türe fällt leise ins Schloss. Ich höre ihn noch die Treppen runtergehen. „Ach, und was ich Sie noch fragen wollte, Herr Schönmüller, warum sind eigentlich alle Versicherungskaufmänner so gekleidet, wie sie gekleidet sind?“