Die Realität übertrifft nur allzu oft jegliches Vorstellungsvermögen. Schon bei den banalsten Dingen. In meiner Kindheit konnte ich noch in den Blumenladen gehen und ehrliche Sträuße kaufen. Das ist heute ein Ding der Unmöglichkeit.

Erstens gibt es diesen Blumenladen gar nicht mehr und zweitens hieße der Blumenladen heute Floral-Design by Ilse Scheiffele oder zumindest ähnlich. Design muss auf jeden Fall dabei stehen, auch wenn man keinen Plan hat, was sich dahinter verbirgt. Blumen in ihrer Reinform dürfen gar nicht mehr verkauft werden. Ich nehme an, es gibt inzwischen irgendein Gesetz, welches genau das unter Strafe stellt. Es müssen immer irgendwelche wundersame Begleiter dabei sein, wie aussagelose Strohnester, nicht näher definierbare Drahtklumpen, Federn in den schillernsten Farben bis hin zu Plastikperlenketten oder gerne auch mal Elektroschrott. Je üppiger diese Arrangements ausfallen, desto niedriger scheint der Intellekt, sowohl des Bastlers als auch des Kunden. Versuchen Sie doch mal nur eine einzige Blume, welche als Solitär wunderschön wirkt, zu erhalten. Äußern Sie diesen Wunsch – gerne auch mehrfach. Sie werden feststellen, dass viele Floristen in einem solchen Fall zunächst Petersilie, was in gewisser Weise nachvollziehbar ist, in den Ohren haben. Sollten Sie bei Ihrer Bemerkung, Sie hätten gerne eine einzelne Kala, ein leichtes Pfeifen aufgrund eines Durchzugsgeräusches bei ihrem Gegenüber wahrnehmen, wissen Sie, was die Stunde geschlagen hat. Das Blumenkind schnappt sich milde lächelnd die Kala, wackelt damit davon und während Sie noch glauben, dieses wunderbare Stück wird nun zum Schutz in Papier gehüllt, wird es in sekundenschnelle mit diversen Blättern, seltsamem Grünzeug, bis hin zu monströs-metallischem Papiergekröse vergewaltigt, um dann mit der rhetorisch gemeinten Frage oder eher Feststellung präsentiert zu werden: „Ist es so recht?“ Achten Sie bitte bei dieser Äußerung auf die Haltung des Künslters. Das Kinn hebt sich leicht, der Blick geht an Ihnen vorbei in die Ferne, das Werk wird seitlich des Körpers einen Bruchteil von Sekunden wie zur Huldigung in die Höhe gehalten. Noch im gleichen Atemzug, wie das „Ist es so recht?“ im Raum schwingt, wird das Naturwunder-Sperrmüll-Konglomerat auch schon in Papier gewickelt. Doch plötzlich hält das Blütenköpfchen inne und Sie wissen, nun ist Ihr „Nein“, dass Sie auf die Frage geantwortet hatten von der Schädeldecke zurückgeprallt und irgendwo angekommen, wo es zumindest eine Reaktion ausgelöst hat. Der Kiefer klappt nach unten, weiteren Augenblicken des Zögerns folgt die langsame Wiederholung mit Fragezeichen aus eben jenem weit geöffneten Mund: „Neeeeiiiiiiiiiin?“. Tja, manche Dinge brauchen einfach Zeit, bis sie ins Bewusstsein dringen. Und doch kann ein Wort mit nur vier Buchstaben eine ganze, kleine Floral-Design-Welt zum Einsturz bringen. Jetzt schauen Sie in völlig hilflose, inhaltsleere Augen und Ihnen wird klar: Es wird nicht einfach, eine Kala ohne irgendwelchen Schnickschnack zu erhalten. Es wird ein harter Kampf, aber Sie haben ihn aufgenommen. Noch einmal äußern Sie ganz gelassen den Wunsch, dass Sie gerne einfach nur eine Kala hätten. Sobald Ihre Worte verklungen sind, können Sie sehen, wie die Synapsen des Grünzeuggestalters gerade scheinbar mit Blütenstaub zu kämpfen haben, weil diese überhaupt nicht einordnen können, was diese Worte zu bedeuten haben. Die Anweisung ist zu klar, zu einfach. Die Anweisung muss falsch sein. Daher ist es auch völlig unausweichlich, dass Runde zwei mit ungfähr diesen Worten eröffnet wird: „Ich kann das Blatt auch wegnehmen, aber dann wird das Ganze eben etwas ruhiger.“ Jetzt sind Sie gefordert, denn, wenn überhaupt noch irgendetwas an dieser wunderschönen Blüte zu suchen hat, dann doch wohl das pflanzeneigene Blatt. Verkneifen Sie sich um Gottes willen eine solche Bemerkung, denn das wäre der Anfang vom Ende, das wäre das 1:0 für die Designtulpe und die würde gnadenlos nachlegen, bis Sie den blühenden Hausmüll abgenickt haben. Falls Sie Zeit haben, gehen Sie über die volle Distanz und knocken Sugar Ray Floralis erst in der 12. Runde aus. Falls Sie keine Zeit haben, nehmen sie eine einzelne Kala in die Hand, legen diese aufs Einwickelpapier, fangen schon an zu wickeln und sagen dann: „Könnten Sie mir bitte helfen.“ Wundern Sie sich nicht, falls auch hier noch ein „Aber,...“ kommt. Ignorieren Sie es und gehen Sie möglichst schnell zur Kasse. Eine noch wirksamere Methode, jedoch etwas kostenintensiver, ist es, das ganze Gerümpel erst einmal kühl lächelnd abzunicken und zu bezahlen. Dann – noch im Laden – das Papier wieder abzuwickeln und alles, was Sie nicht haben wollten zu entfernen. Fragen sie dabei sachlich nüchtern nach dem Mülleimer. Schauen Sie sich nun alle Gesichter im Flower-Design-Shop an – ein unvergessliches Erlebnis, das einen zumindest etwas für die erlittenen Qualen entschädigt.